Ihr Name ist Annika Menzel. Sie ist dreißig Jahre alt, lebt in der Stadt in einem Mehrfamilienhaus im dritten Stock. Sie ist klein und zierlich. Fast wirkt sie zerbrechlich. Man sieht sie am Morgen das Haus verlassen und mit ihrem Kleinwagen davon fahren. Besuch scheint sie nicht so oft zu bekommen. Häufig sieht man sie auf Flohmärkten, wo sie sich für Engelsfiguren aller Art interessiert. Sie muss Unmengen von diesen Figuren besitzen. Ich weiß, dass sie an Engel und an die Macht des Universums glaubt. Sie lebt allein, ist heimlich in den Mann im Stockwerk unter ihr verliebt und hat beim Universum bestellt, dass er sie wahrnehmen möge. Mehr weiß ich nicht. Daher suche ich nach sachdienlichen Hinweisen, die mir diese Frau näher bringen.
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Als ich das las musste ich schmunzeln.
Es ist zwar schon eine Weile her, dass ich in einem Haus mit
mehreren Wohneinheiten gelebt habe, aber auf die Lady, die damals unter mir wohnte,
hätte der Name Annika Menzel perfekt gepasst. Sie lebte allein mit einer fuchsrot-getigerten
Katze, die – wie auch immer - ständig den Weg von ihrem Balkon zu meiner
Dachterrasse fand, und einem Kanarienvogel, dessen „Gesang“ dafür sorgte, dass
ich im Sommer immer kurz vor dem Schaufenster eines Waffenladens stehen blieb
um die Auslage zu betrachten.
„Meine“ Annika Menzel arbeitete zu jener Zeit in der Kanzlei
eines antiquierten Steuerberaters als einzige Angestellte und verließ jeden
Morgen - pünktlich auf die Sekunde - um halb acht Uhr das Haus und stieg,
gekleidet mit einem akkurat gebügelten Kostüm und einer gestärkten, absolut faltenfreien
Bluse, in den Bus. Entgegen der gesuchten Annika Menzel, besaß die meine zwar einen
Kleinwagen, nutzte ihn aber nicht. Ihre Nuckelpinne verließ ihren Stellplatz ausschließlich
samstags um seine Fahrerin zum Bummel über den Flohmarkt an der Trabrennbahn sowie dem
Besuch der Tankstelle mit dem günstigsten Spritpreis der Stadt zu bringen und beendete die Rundfahrt nach dem Einkauf in einem Supermarkt wieder in der gleichen Position, von der sie morgens losgefahren war.
Ihre Freundinnen habe ich nie gesehen, nur gehört. Sie saßen
im Sommer so manche Nacht zu dritt auf dem Balkon und hielten mich von meinem wohlverdienten
Schönheitsschlaf ab. Ihre Inneneinrichtung existierte nur in meiner Vorstellung. Gesehen
habe ich sie nie. Ich glaube, Annika hatte etwas Angst vor mir, da
ich schon beim Betreten des Hauses meine „Ich bin unsozial“-Miene aufsetzte um
vor den beiden Rentnerinnen im Erdgeschoss meine Ruhe zu haben, die sich
regelrecht darum rissen meine Pakete anzunehmen, nur um mir ein Kotelett an die
Stirn und zwei Schnitzel an die Wangen zu quatschen.
Was aus "Frau Menzel" geworden ist, weiß ich nicht. Aber ich finde es schon amüsant, dass ein "erfundener" Name und eine kurze Beschreibung irgendwelche verstaubten Erinnerungen ans Tageslicht bringen.
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